Corona-Tagebuch

Da meines Erachtens nicht zu erwarten steht, dass in rund zehn Tagen der Unterricht wieder beginnt, bereite ich jetzt den Online-Unterricht für das zweite Quartal vor. Die "Notversorgung" meiner beiden Prüfungsklassen habe ich im Prinzip über statische Seiten via Evernote, Whatsapp und E-Mail vorgenommen, für die sonstige Unterrichtsversorgung arbeite ich so gut es geht an Konzepten, bin aber ehrlich gesagt bisher nicht weit gekommen und verstecke mich hinter den liegengebliebenen Korrekturen und den Tagesaufgaben, d.h. trotz der vielen Zeit kommt man zu nix. 


Dankbarerweise hat Kollege MS mir eine Nachhilfestunde zum Umgang mit Moodle gegeben; damit ist mein Unbeholfenheits-Alibi hinfällig. Mein Plan ist also, ab dem 27. April Online-Unterricht für die verbleibenden Nicht-Prüfungs-Klassen anbieten zu können. In der Woche zuvor müsste die "Aktivierung" bzw. der Schülerinnen und Schüler erfolgen.


Online-Unterricht in den Fächern, die ich unterrichte, steht vor spezifischen Herausforderungen, die ich mal zusammen mit einigen allgemeinen Herausforderungen hier lose skizzieren möchte: 


Mangel an persönlichen Kontakt: Viele der Themen, die ich behandele, gleich in welchem Fach, entwickeln sich aus dem gemeinsamen Gespräch. Oft gebe ich einen Impuls, einen Gesprächsanlass, der so gut es geht das Interesse wecken und zum Thema hinführen soll. - Wie kann man/ich das auffangen/ersetzen im Online-Unterricht? Wie können Impulse aus der Gruppe aufgenommen und weiter entwickelt werden? Und wie soll das geschehen, ohne dass ich als Lehrer zum 24/7-Administrator von Benachrichtigungen werde. 


Terror des Digitalen: O.k., das Stichwort ist vielleicht etwas drastisch. Aber ich selbst habe die letzten Jahre über einen Rückzug aus dem Digitalen angetreten. Nach der Anfangseuphorie, alles Unterrichtsmaterial digitalisiert und in die Cloud hochgeladen zu haben, war mir das zeitliche Ausmaß der Bildschirmarbeit irgendwann schlicht zuviel, und die Bildschirmarbeit ist auch viel zu unkonzentriert und ablenkungsreich. An Tagen des Korrektur-Elends beispielsweise mache ich morgens gleich den PC gar nicht an und arbeite solange wie irgend möglich mit Stift und Papier, um den Fokus zu erhalten. Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass mein PC auch mein Zugang zu privaten Netzwerken, Musik, Filmen und Videospielen ist und ich unglaublich schwach bin.


Aber ich möchte auch nicht, dass mein Arbeitsplatz zu hundert Prozent digitalisiert wird, dass der menschliche Kontakt sich auf wenige Stunden im Monat UNTER LEBENSGEFAHRII1! reduziert (heute das erste Mal mit Maske zum Einkaufen, strange...). 


Und ganz allgemein: Die digitale Kommunikation ist so un-glaub-lich träge, alles dauert dreimal so lang. Wie soll man denn per E-Mail-Benachrichtungen eine angeregte und anregende ethische Diskussion führen? Anders als es die ganzen Plattformen versprechen, werden wir ja im Digitalen gegenüber der tatsächlichen, leibhaftigen Kommunikation ständig ausgebremst, der verstotterte Dialog in Zoom-Meetings ist da nur ein Beispiel. Man kann auch keine sinnvollen Gespräche in Whatsapp-Gruppen oder Tweets führen, nicht über Themen wie Benthams Begriff der Nützlichkeit, nicht über den Art. 1 GG, nicht über die Zukunft des Rentensystems, nicht über Wendla Bergmann oder romantische Subjektivität.


Gerade im Deutschunterricht geht es vielfach darum, Texte, Ideen, Weltanschauungen zu verlebendigen (oft: von den Toten zu erwecken). Diese Aufgabe lässt sich in Ansätzen sicher auch im Rahmen digitaler Kommunikation verwirklichen; aber ich bin kein Youtuber, kein Filmemacher, kein Podcaster (obwohl vielleicht ...?); mein Job ist nicht getan damit, einmal die Woche ein aufwändig produziertes Video hochzuladen, ich hab vier völlig unterschiedliche Gruppen mit neun Stunden die Woche zu versorgen. Zudem ruft dieser ganze Produzieren-Hochladen-Abfragen-Zyklus ganz dystopische Bilder hervor, in denen sich die Schülerinnen und Schüler ihre Bildung über Moodle abzapfen und ich am Wochenende die Tanks neu befülle. 




Notengebung: Puh, ja, großes Problem, uff. ... Nein, ernsthaft, ich bin froh für jeden Tag, an dem es keine Notengebung gibt. 


Angebotsstruktur - Pessimismus/Optimismus: Ich würde gerne gute Bildungsangebote machen, habe aber bisher, wenn ich ganz ehrlich bin, nur wenige gute Erfahrungen mit reinen Angebots-äh-angeboten gemacht. Wann immer ich Bücher im Unterricht vorgestellt habe oder Aufgaben online zusammengestellt habe, kam kaum eine Antwort, das waren immer nur Rufe in die Wüste und ab und an schreckts mal eine*n einsame*n Schüler*in auf. Meine bisherigen Klassen hatten nur sehr wenig Interesse an den "reinen Angebote", d.h. dem Lernen ohne Pflicht, Frist und Notendruck. Sicher war das, was ich da angeboten habe, mies und offenbar nicht gut genug; aber mit der Prämisse kann ich nicht arbeiten. Dass die Qualität meiner Arbeit mitunter gering ist, entbindet mich leider nicht von der Pflicht, sie zu tun. (Schade eigentlich.) 


Kurz, so sehr ich den jetzt möglichen Übergang zum Angebots-Unterricht unterstütze und so sehr mein Idealismus mich dazu motiviert, möglichst guten Unterricht auf freiwilliger Basis anzubieten, so wenig Anlass gibt mir meine Erfahrung zu Optimismus. 

Ich schließe hier mal die Reflexion ab. 


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Das war mein erster Blog-Post. 

Das ist ein interessantes Format, das ich vielleicht in Kürze wieder ausprobieren mag. 


Hallo Leser*in, vielen Dank für Deine Aufmerksamkeit! 

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FE

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